Die vorliegende Studie macht es sich zur Aufgabe, die literar-asthetischen Neuerscheinungen in der deutschen Literatur nach der 'Wende' zu untersuchen. Dabei werden zwei Autoren, Wolfgang Hilbig, ein Autor aus der ehemaligen DDR, und Botho Strauβ in ...
Die vorliegende Studie macht es sich zur Aufgabe, die literar-asthetischen Neuerscheinungen in der deutschen Literatur nach der 'Wende' zu untersuchen. Dabei werden zwei Autoren, Wolfgang Hilbig, ein Autor aus der ehemaligen DDR, und Botho Strauβ in Betrachtung gezogen.
1) Wolfgang Hilbigs 『Grunes grunes Grab』
Der Schriftsteller C. [W. ], der im Erzahlzyklus 『Grunes grunes Grab』 als Doppelganger Hilbigs Geschichten erzahlt, verpflichtet sich nicht mehr zu dem Schreibmodell, das darauf zielt, im fehlgeschlagenen Leben des entschwundenen Landes die stabile Identitat zu "simulieren". Er kommt zur Kenntnis, daβ er die "Abwesenheit" und die "Entwirklichung" konstatieren und sie in der kalten Bildsprache, d. h. in der Sprache der Negation zum Ausdruck bringen muβ Darin ist die Selbstironie Hilbigs zu sehen. Das gesamte dichterische Werk Hilbigs ist der Ausdruck von "Selbstbefragung und Selbstreflexion des Schreibenden" selbst. Auch in 『Grunes grunes Grab』 handelt es sich im Grunde genommen um die Selbstreflexion des Schreibenden. Am Ende der Selbstfindungsreise gibt es jedoch weder Selbstfindung noch gewisse Identitat. Der Ich-Erzahler C. [W. ] kampft lediglich gegen Wortfetzen, gegen das Gerede und Geschreibe, gegen die Entfrerndung und Verdinglichung.
Was der vierzigjahrige Marschierzug der Utopie in der DDR hinterlaβt, ist "Titanic Westseite, schon bei betrachtlicher Schraglage". Verbittert muβ Hilbig nun die Welt und das Ich zu einer reinen Konstruktion bzw. Erfindung der 'Stasi' erklaren.
2) Botho Strauβ Asthetik und 『Das Gleichgewicht』
Im wiedervereinigten Deutschland besteht jedoch noch eine andere Tendenz in der Literatur; die Tendenz des Konservatismus. Botho Strauβ ist einer der Wortfuhrer dieser Stromung. Er hat mit seinem Essay 「Anschwellender Bocksgesang」 nach der 'Christa Wolf-Debatte' eine andere, neue 'Literaturdebatte' in Deutschland ausgelost. Ihm zufolge soll der Verursacher des Niedergangs der deutschen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg die fehlgehende Aufklarungspolitik der links orientierten Intellektuellen sein. In demselben Zusammenhang hat er schon vorher in seinem Essay 『Beginnlosigkeit』, sich auf das Weltbild der Chaos-Forschung berufend, festgestellt, "daβ es weder Anfang noch Ende gibt". Mit dieser enthistorisiert-enthistorisierenden Erkenntnis-theorie definiert er nun in der Georg-Buchner-Preisrede den Dichter als "die schwache Stimme in der Hohle unter dem Larm". Die Kunst solles nicht darauf angelegt sein, die neue Erkenntnis zu gewinnen, sondern eine komplementare Erganzung bzw. eine Alternative zur kritischen Rationalitat zu sein, die ihrerseits keinen Sinn mehr fur die Verhangnisse der Gesellschaft hat. Um die deutsche Gesellschaft, die an der "politischen Krankheit" leidet, zu heilen, halt Strauβ den "Wechsel der Mentalitat" fur notwendig. Das ist nichts anderes als der Anspruch auf die "Rechristianisierung unseres modernen egoistischen Heidentums". Diese hinter der Kulturkritik stehende ethische Frage ist insofern konservativ und "antiaufklarerisch", als sie sich vom Rationalismus zum religiosen Problem wendet. Mit der "Antiaufklarung" meint er die "Aufklarung im Sinn der Selbstkritik der Aufklarung". Das heiβt, Strauβ will die vom Okonomismus unterdruckte, jedoch in der kulturel1en Tradition aufbewahrte geistige Kraft ins Gedachtnis rufen. Programmatisch auβert er in der Buchner-Preisrede: "Anamnesis, nichts sonst, ist ihre [der Dichter] Kunst und ihre Pflicht". Erst durch die neue Aktualisierung dessen, was "auf der Suche nach Wohlsein verloren und vergessen wurde", konnten wir die tragischen Phanomene der Gegenwart uberwinden. Daβ in seinem Stuck 『Das Gleichgewicht』 die Merkmale wie Uferlosigkeit, Definitionslosigkeit und Undeutlichkeit festzustellen sind, versteht sich auch in diesem Zusammenhang.
Aus dieser Untersuchung hat sich ergeben, daβ die Wiedervereinigung bei den zeitgenossischen Autoren jeweils anders empfunden und erfahren wurde; je nach dem, aus welchem Teil Deutschlands sie stammen. Das Selbstverstandnis des Dichters als Volkserzieher bzw. Aufklarer der Gesellschaft ist in der veranderten Situation fraglich geworden. Auch die Rolle der Literatur in der Gesellschaft ist im gewandelten Weltbild neu zu bestimmen, Dies haben die Beispiele Hilbig und Strauβ deutlich gezeigt.