Ende der 60er Jahre brach uberall auf der Welt die Studentenrevolte gegen das Establishment los. Die `antiautoritare` Kritik und Aktion der deutschen Studenten zielte auf die Universitat, die Notstandsgesetze, den Faschismus, die Massenmedien und den ...
Ende der 60er Jahre brach uberall auf der Welt die Studentenrevolte gegen das Establishment los. Die `antiautoritare` Kritik und Aktion der deutschen Studenten zielte auf die Universitat, die Notstandsgesetze, den Faschismus, die Massenmedien und den Vietnamkrieg. Die kapitalistische Gesellschaft basierte in den Augen der 68er nicht bloß auf Ungerechtigkeit, Unterdruckung und Luge, sondern sie riegelte das Individuum geradezu systematisch von Erfahrung und Erkenntnis ab. Auf dem Hohepunkt der deutschen Studentenbewegung entstanden daher viele neue Formen von gegenkultureller Lebenspraxis, die mit politischem Kampf in enger Verbindung standen. Als Beispiele dafur sind Kommuneprojekte, die Raubdruckbewegung und neue Formen des politischen Handelns wie Happenings und Teach-Ins zu nennen. Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch, die kulturkritischen Ansatze der Studentenbewegung und ihre literarischen Konsequenzen zu skizzieren. Es wird zuerst die Vorgeschichte der 68er Bewegung im Hinblick auf den Strukturwandel der westdeutschen Gesellschaft dargelegt. Dann folgt die Rekonstruktion der grundlegenden Positionen der Studentenbewegung, die mit ihrem kulturrevolutionaren Konzept die Literaturdiskussion bzw. -praxis jener Jahre wesentlich pragte. Das subjektivistische Revolutionskonzept der Neuen Linken betonte die revolutionare Rolle der Intelligenz und damit den Vorrang der Kulturkritik. Das schlug sich nicht nur in kulturrevolutionaren Aussagen, sondern auch in ihren Versuchen zur Neubestimmung der gesellschaftlichen Funktion von Literatur nieder. 1967/68 fanden die Reflexionen uber die politisch-operative Literatur eine breitere Resonanz unter den links orientierten Studenten. Enzensberger verkundete 1968 den Tod der Literatur. In der Folge setzten sich gleichartige Erklarungen gegen die kunstlerische Literatur fort. Sie bezogen Stellung gegen den traditionellen, asthetischen Wert der burgerlichen Literatur und forderten eine neue politische Literatur. Die politische Asthetik der Studentenbewegung ging davon aus, dass das Kunstwerk als ein Artefakt nicht mehr der zentrale Gegenstand der asthetischen Theorie sein konne. Dieser Verzicht auf die Kategorie des Kunstwerks fuhrte dazu, die Literatur zu einem Organon der Revolution zu machen: durch die Entwicklung alternativer, nicht vom Kapital kontrollierter Produktions- und Vertriebsweisen und durch die Reaktivierung und Weiterentwicklung agitatorischer Formen wie Reportage, Lied und Song, Agit-Prop-Lyrik usw., was aber wiederum gewisse Ahnlichkeiten mit den spektakularen Auftritten und Texten von Avantgardisten zeigte. Die 68er Bewegung, die versuchte, Kunst und Leben bzw. Kultur und Politik neu zusammenzudenken, veranderte durch ihre Theorie und Praxis die bundesrepublikanische Gesellschaft nachhaltig.