Es int Aufgabe der Republik die Hindernisse wirtschaftlicher unto gesellschaftlicher Art zu beseitigen, die die Freiheit unto Gleichheit der Burger tatsa¨cl!rich begrenzen und die voile Entfaltung der menschlichen Perso¨nlichkeit und die wirksame Te...
Es int Aufgabe der Republik die Hindernisse wirtschaftlicher unto gesellschaftlicher Art zu beseitigen, die die Freiheit unto Gleichheit der Burger tatsa¨cl!rich begrenzen und die voile Entfaltung der menschlichen Perso¨nlichkeit und die wirksame Teilnahme aller Arbei-tenden an der politischen, wirtschaftlichen unto sozialen Gestaltung des Landes verhindem.
Diese markante Staatszielbestimmung findet sich in der italienischen Verfassung von 1947 In unserem Grundgesetz wird der Sozialstaat schlichter und weniger eindringlich durch die zweimalige Verwendung des Adjektivs 「sozial」 vor Bundesstaat und Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1) umschrieben. Diese Staatszielbestimmung steht in engem Zusammenhang mit dem heftig ero¨rterten Problem der Teilhaberechte. Das Recht auf Teilhabe an staatlichen Leistungen ist eine Wending des Sozialstaats in die Grundrecht-sdogmatik vie sie auf der Regensburger Staatsrechtslehrertagung 1971 von Ha¨berle vorge-nommen worden ist und auch schon mehrfach die Gerichte bescha¨ftigt hat. Grundrechtlich begru¨ndete Staatsleistungen u¨bersteigen dabei den herko¨mmlichen sozialen Auftrag des Staates; sie sollen Wissenschaft(1, Schule und Kultur fo¨rdem. Insoweit ist Leistungsstaat ein weiterer Begriff als Sozialstaat. Die strukturellen Probleme des Leistungsstaates sind aber dieselben wie die des Sozialstaates, der im folgenden auch nur in seinen leistungsrechtli-chen Aspekten betrachtet werden soll.
Was bedeutet Sozialstaat? Anders als die anderen Grundprinzipien wie Rechtsstaat, Demokratie und Bundesstaat ist der Sozialstaat nicht lurch Einzelnormen im GHndgesetz na¨her bestimmt. Die Antwort auf die Frage ka¨nnte lauten ·ein staatlich organisiertes System der sozialen Sicherheit fu¨r Not- und Krankheitsfalle. Angleichung der sozialen Chancen durch den Staat. Ausgleich der gro¨bsten faktischen Ungleichheiten. Oder gar Schaffung gleicher Lebenslagen fu¨r alle durch den Staat?
Ziel und Grenze des Sozialstaates erschließen sich nur, wenn man ihn in Bezug setzt zu den anderen Aufgaben Zielen und Organisationsprinzipien des Staates. Jede isolierte und unhistoriche InterFetation des Begriffs r 「Sozialstaatj」 verbietet sich daher. So darf die in den Grundrechten gewa¨hrleistete Freiheit durch den Sozialstaat nicht ihrer Antriebe beraubt werden. Vielmehr mu¨ssen sozialstaatliche Aktivita¨ten so eingesetzt werden, daß sie die Freiheit der Bu¨rger ferdern, wie die italienische Verfassung richtig zum Ausdruck bringt.
Mit Freiheit ist individuelle Freiheit gemeint. Wenn man den Sozialstaat mit der Freiheir in Einklang zu bringen versucht, indem man nicht mehr individuelle Freiheit, sondern 「ge-sellschaftliche Freiheit」 fordert - wie dies Hartwich tut - dann expandiert der Sozialstaat auf Kosten der Freiheit. Eine solche expansive Interpretation u¨bersieht zudem die Voraussetzungen des Sozialstaates, der auf Freiheit und Wirtschaftswachstum beruht sowie erhebliche steuereinnahmen voraussetzt.
Der Sozialstaat ist die (verfassungs)rechtliche Antwort auf eine bestimmte geschichtliche Entwicklung : Das Elend vieler Arbeiter im 19. Jahrhundert und im beginnenden 20. Jahrhundert hat soziale Reaktionen des Staates heHorgerufen, ehe eine entsprechende Staatszielbestimmung in der Verfassung auftauchte. Durch den Fortschritt der Technik und durch den Wandel der sozialen Bedu¨rfnisse sind die Lebensbedingungen Instabil geworden, der einzelne kann sein Leben immer schwerer allein bewa¨1tigen. Insoweit wird der Staat ta¨tig, um soziale Not abzuwenden und dafu¨r zu sorgen, daß die vitalen Bedu¨rfnisse eines wu¨rdigen menschlichen Daseins befriedigt werden ko¨nnen. Aber nicht nur das Elend und dessen U¨berwindung haben den Sozialstaat stimuliert. Freiheitsverwirklihungen unter Einsatz o¨konomischer Mittel versta¨rken bestehende und schaffen neue Ungleichheiten.
Soziale Ungleichheiten liegen nicht mehr u¨ber Generationen fest und werden nicht mehr als gottgegeben angenommen. Auch die sta¨rkere Orientierung auf das irdische Leben la¨ßt faktische Ungleichheiten schwerer ertra¨glich erscheinen. Damit wuchs dem Staat die Aufgabe des sozialen Ausgleichs zu. Er sollte wenigstens a¨ußere Bedingungen des menschlichen Glu¨cks garantieren.
Von dem Sozialstaatsprinzip geht heute eine große politische Faszinationskraft aus : Was fu¨r das 19. Jahrhundert der Nationalgedanke und der Nationalstaat war, ist heute der Sozialgedanke und der Sozialstaat. Die politische Eigendynamik des Sozialstaatsprinzips, das haute zu einem umfassenden Leistungssystem ausgebaut ist, wurde durch die gu¨nstige wirtschaftliche Entwicklung der Nachkriegszeit unterstu¨tzt und teils erst ermo¨glicht. Viele haven sich um eine rechtsdogmatische Pra¨zisierung der Sozialstaatsldausel bemu¨ht. Dabei blieben die Grenzen des Sozialstaats auffa¨llig unbeleuchtet.
Betrachtet man zwei Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts zum Sozial-staatsprinzip aus den ersten Jahren und aus der ju¨ngsten Vergangenheit, so wird das Gesagte besta¨tigt : Nach dem KPD-Urteil ist das Sozialstaatsprinzip vorzu¨glich gerade deshalb zum Verfassungsprinzip erhoben worden, um scha¨dliche Auswirkungen schrankenloser Freiheit zu verhindern und die Gleichheit (ortschreitend bis zu dem vemu¨ntigerweise zu fordemden Maße zu verwirklichen. Die bier schwach angedeutete Konkordanz (vernu¨nftiges Maß) von Sozialstaat und Grundrechten wird im ersten humerus-clausus-Urteil besta¨tigt : Danach nimmt der soziale Rechtsstaat eine Garantens-tellung fu¨r die Umsetzung des grundrechtlichen Wertsystems in die Verfassungswirklichkeit ein. Diese beiden interpretationsbedu¨rftigen Aussagen sollen hier das Thema geben, das wie folgt zu entwickeln ist : Zuna¨chst ist nach den Aufgaben und Grenzen des Gesetzgebers bei der Verwirklichung des Sozialstaates zu flagen (Ⅱ), sodann ist die judizielle Seite des Themes zu ero¨rtem, die verschiedene Aspekte hat (Ⅲ) : 1. Wie sind Leistungsgesetze durch die Gerichte auszulegen? 2. Ko¨nnen die Gerichte Leistungsanspru¨che unmittelbar aus den Grundrechten herleiten? 3. Welche Ma??sta¨be gibt der Gleichheitssatz fu¨r den austeilenden Staat? Abschließend mo¨chte ich kurz auf die exekutivische Verwirklichung des Sozialstaats unter dem Blickwinkel des Gesetzma¨ßigkeitsprinzips eingehen (Ⅳ).